In Zeiten des mittlerweile nicht mehr zu leugnenden weltweiten Klimawandels und seinen vielerorts bereits bedrohlichen Auswirkungen, lohnt es sich, wie in allen menschengemachten Krisensituationen, einen Blick in die Tora zu werfen.
Eine zentrale Säule der jüdischen Ethik besteht bekanntlich darin, unser Tun und Handeln nicht an den expandierenden Grenzen der praktischen Machbarkeit, sondern an den Eckpfeilern von Verantwortung, Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit auszurichten.Nicht die Erde „Untertan zu machen“, um sie zu beherrschen und auszubeuten, wie die archaischen Übersetzungen jener berühmten Passage des Schöpfungsberichts missverständlich nahe legen könnten, sondern sie zum Ziel und Zweck der zivilisatorischen, praktischen und zu jeder Zeit werteorientierten Weiterentwicklung zu nutzen, ist, wie Rabbiner S. R. Hirsch ausführt, der hiermit gemeinte Auftrag an die Menschheit.
So wie die mit jeder gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Einfluss- und Machtposition unbedingt einhergehende, besondere soziale Verantwortung, wie sie das Tora-Gesetz immer wieder betont, ist auch das allen anderen Geschöpfen überlegene Potential des Menschen nicht als Privileg, sondern als besondere Verpflichtung zur Umsicht und Rücksicht gegenüber Natur und Umwelt zu verstehen. Wie es ein jahrtausende alter Midrasch, in einer aus heutiger Sicht geradezu schauderhaften Aktualität beschreibt:Als HaSch-m die ersten Menschen erschaffen hatte, führte Er sie herum und sagte: ‚Schaut meine Schöpfung an, in ihrer Schönheit, in ihrer Perfektion. Für Euch habe ich das alles geschaffen. Achtet darauf Meine Welt nicht zu beschädigen und zu zerstören, denn wenn ihr das tut, wird es niemanden geben, der sie reparieren wird!‘ (Kohelet Rabbo 1)
Viele Aspekte desTora-Gesetzes beziehen sich auf sehr praktische, vermeintlich profane Belange des Alltags; selbstverständlich ist es legitim die Gebote der Tora funktional zu erklären, und dies wurde von den rabbinischen Gelehrten auch seit jeher versucht — jedoch ohne dadurch die Einhaltung derTora-Vorschriften jemals rationalistisch zu begründen oder gar davon abhängig zu machen. Denn, wie Maimonides erläutert, egal wieviel praktischen Sinn unser menschlicher Verstand in den einzelnen Geboten und Verboten auch erkennen mag, wir werden niemals in der Lage sein, die tatsächlichen Zusammenhänge hinter den vielen Details zu verstehen, da diese nicht in der materiellen, für uns in diesem Leben, erfahrbaren und gestaltbaren Welt, sondern in der Realität unserer eigentlich primären, unsererspirituellen Existenz liegen, und der unbedingten, reflexiven Verbindung dieser beiden Welten untereinander.
Dies vorausgeschickt, ist es durchaus legitim auch die verschiedenen landwirtschaftlichenTora-Gesetze in ihrer praktischen Funktion und Vorbildfunktion universal zu betrachten, obwohl sie sich als Mitzva, und ihrer damit einhergehenden spirituellen Bedeutung, dezidiert nur auf Eretz Jisrael, also das Heilige Land innerhalb seiner biblischen Grenzen beziehen — vollkommen unabhängig von den politischen Grenzen des modernen Staates Israel.
So ist beispielsweise das Sch’mita-Jahr, wie das nun beginnende neue jüdische Jahr 5782, das letzte des 7-jährigen Jahreszyklus, von der Tora als ein Brachjahr verordnet, während dessen weder gepflügt, gesät, bewässert, noch gedüngt werden darf und am Schluss lediglich das geerntet, was von allein, also sozusagen ganz natürlich, ohne jegliches menschliche Zutun gewachsen ist.
In der Praxis gelten diese Vorschriften unbedingt für jeden jüdischen Landbesitz in Eretz Jisrael, vom landwirtschaftlichen Feld oder Obstgarten, bis hin zum Blumentopf am Balkon eines Hochhauses. Abgesehen von den diesen Tora-Vorschriften zu Grunde liegenden spirituellen Aspekten, ist es durchaus bemerkenswert, dass das in der modernen Landwirtschaft geschätzte regelmäßige Brachlegen von Ackerland, um den Boden und die Natur zur Ruhe kommen zu lassen, bereits vor über 3000 Jahren als Tora-Vorschrift praktiziert wurde. Wie dramatisch der Effekt ist, wenn die Natur die Gelegenheit bekommt sich zu erholen und aus sich selbst heraus, ohne menschliches Zutun zu regenerieren, hat sich im vergangenen Jahr auf beeindrckende Weise vielerorts gezeigt, als während der diversen Corona-Lockdowns Singvögel in bis dahin smogverseuchte asiatische Industriestädte zurückkehrten und Delphine in den plötzlich glasklaren und ruhigen Gewässern um und sogar in Venedig auf Fischfang gingen.
Wenngleich diese, ganz anderen und weniger erfreulichen Umständen geschuldeten, kurzen wie effektvollen Erholungsmomente der Natur keinen Anlass zur Entwarnung bieten können, so geben sie doch den berechtigten Grund zur Hoffnung, dass die Umwelt unserer Erde, die in jedem Fall unsere physische Existenzgrundlage bildet, noch zu retten ist, vorausgesetzt wir erkennen die Dringlichkeit der Warnung: ‚Achtet daraufMeine Welt nicht zu beschädigen und zu zerstören, denn wenn ihr das tut, wird es niemanden geben, der sie reparieren wird!‘
Rabbiner Schlomo Hofmeister, MSc.
Gemeinderabbiner von Wien